Bewährtes weiterentwickeln und neu denken
Interview mit Carolin Feist, Vorsitzende der BTJ und der AG Nachhaltigkeit im BTFB
Ausführliche Fassung des Interviews aus dem Magazin BewegtBerlin, Nr. 4 (Juli/August 2024)
Zur Person:
Carolin Feist, Vorsitzende der Berliner Turnjugend (BTJ), AG Nachhaltigkeit im BTFB, Runder Tisch der Nachhaltigkeit im Sport Berlin. Erzieherin, abgeschlossenes Studium „Wirtschaftsingenieurwesen für Umwelt und Nachhaltigkeit“ an der BHT und HWR; Master-Studentin „Nachhaltige Unternehmensführung“ an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.
Caro, deine Studiengänge befassen sich mit Nachhaltigkeit – was hat dich dazu motiviert?
Dazu trugen verschiedene Aspekte bei. Ich war Erzieherin und hatte bei einem Kreuzfahrtschiffunternehmen gearbeitet. Dann kam Corona und Schiffe fuhren nicht mehr. Plötzlich hatte ich keine Arbeit mehr. Hinzu kam das innere Bedürfnis, etwas Neues zu lernen, mich selbst mit einem Studium herauszufordern und ganz ehrlich… ich hatte nach acht Jahren leider keine richtige Lust auf den Erzieherjob mehr.
Das Thema Nachhaltigkeit, Umweltschutz fand ich schon immer spannend (seitdem ich 12 bin, bin ich Vegetarierin) und mit diesem Studiengang würde ich ein weitgefasstes Wissen erlangen und die Möglichkeit, in ganz verschiedenen Bereichen zu arbeiten. Also wie der Erzieherjob. Wir müssen etwas an unseren Verhaltensweisen ändern, wenn wir dieser Welt und uns eine Chance geben wollen, und ich denke, dass wir mit solchen Studiengängen in Zukunft was erreichen können.
Welches Schwerpunktthema hast du gewählt?
Der Studiengang hatte den Schwerpunkt Umwelt und Nachhaltigkeit in Verbindung mit Wirtschaftsingenieurwesen. In meiner Bachelorarbeit habe ich das Thema Nachhaltigkeitsstrategien bearbeitet, vertiefend bei NGOs. Das Thema finde ich es sehr spannend, da es auf alle übertragbar ist – auf Vereine, Verbände, Organisationen, Firmen, Unternehmen… Jetzt setze ich das mit dem Masterstudiengang zur nachhaltigen Unternehmensführung fort.
Was verstehst du unter Nachhaltigkeit im Sport?
Eine riesige Frage und mit vielen Antwortmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen, weil so viel zu bedenken ist. Wichtig sind die drei Bereiche der Nachhaltigkeit: Ökonomisch, ökologisch und sozial. Und im Sport müssen wir lernen so zu handeln, dass diese drei Bereiche immer mitbedacht werden. Und zu verstehen, dass sie auch oft Hand in Hand miteinander hergehen.
Als Beispiel: Es müssen neue T-Shirts für die Gruppe her. Dann ist es jetzt an der Zeit zu überlegen, wo man diese herbekommt. Früher hat man vielleicht die einfachen „Made in China“ bestellt und bedrucken lassen, ohne darüber nachzudenken, unter welchen Bedingungen diese hergestellt wurden.
Jetzt gibt es zum Glück so viele vertrauenswürdige Zertifikate und Optionen, die beispielsweise bei „Sport handelt Fair“ aufgelistet sind. Diese sehr guten Alternativen kosten berechtigterweise mehr, aber der Landessportbund hält Mittel bereit, um bei diesen Käufen zu unterstützen. Und muss eigentlich jedes Mitglied jedes Jahr neue T-Shirts bekommen? Oder kann man beispielsweise T-Shirts, die nicht mehr passen, an die Jüngeren weitergeben oder sogar mal eine Kleidertauschbörse organisieren?
Du hast mit der BTJ ganz wesentlich das Thema Nachhaltigkeit im BTFB in den Fokus gerückt. Wie ist jetzt der Stand der Dinge?
Wir als Jugend repräsentieren die Zukunft und da fand ich es wichtig, dieses Thema in den Vordergrund zu stellen. Mit unserem Nachhaltigkeitspreis konnten wir dieses Jahr den Holz-Wanderpokal bereits ein zweites Mal an einen engagierten Verein vergeben.
Unsere AG tagt regelmäßig und befasst sich mit Ideen, die die BTJ und der BTFB umsetzen können und was wir den Vereinen wie mit an die Hand geben können.
Durch die regelmäßige Teilnahme am „Runden Tisch der Nachhaltigkeit“ des Aktionsbündnis „Fairer Handel Berlin“ ist bereits ein großes Netzwerk entstanden wir bekommen Einblick in andere Sportarten und Berliner Verbände und deren Schwerpunkte zum Thema Nachhaltigkeit.
Welche Aufgaben hat die AG, wer gehört dazu?
Momentan sind wir vier in der AG: Nicole Gohel vom BTJ-Vorstand, Präsidiumsmitglied Martin Hartmann, BTFB-Geschäftsführer Claudio Preil und ich. Aber wir möchten unbedingt die Praxis-Kompetenz von Vereinen mit einbeziehen! Deshalb: Wenn es Interessierte in den Vereinen gibt, die in der AG mitarbeiten wollen, bitte unbedingt Kontakt mit uns aufnehmen! Das gilt natürlich auch für Ideen, Wünsche, Anregungen – immer her damit!
Nun arbeiten wir an unserem ersten Workshop, den wir anbieten wollen. Wir müssen das Thema und die Vielfältigkeit, die dahintersteckt, praxisnah in die Vereine bringen.
Jüngstes großes Thema, neben der Preisvergabe und der Ausschreibung dafür, war die Vorbereitung der Klausurtagung des BTFB mit dem Schwerpunktthema Nachhaltigkeit. Wir haben vier Themenkomplexe von den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen* ausgewählt, die zugleich die vier Hauptziele sind, auf die wir uns als BTFB und BTJ fokussieren. Dahinter stehen unsere Stärken, die wir bereits leben, in denen wir aber noch besser werden können.
Das bedeutet nicht, dass wir die anderen Ziele gar nicht in unserer Arbeit beachten oder gar außen vorlassen. Es bedeutet lediglich, dass wir unseren Fokus für das nächste Jahr festgelegt haben.
Welche vier Themen sind das?
• Gesundheit und Wohlergehen: Das ist ja praktisch die DNA des BTFB und der BTJ. Durch Bildung, Angebote, Kongresse (wie der Gymwelt-Kongress in Kienbaum) wollen wir Menschen aller Altersgruppen in gesunde, sichere Bewegung bringen, sichere Orte für Bewegung und Vertrauen schaffen.
• Bildung für alle ermöglichen: Berlin ist so vielfältig, was Kulturen, Bildungsschichten, finanzielle Lagen und Lebensstile angeht. Durch niederschwellige, inklusive Angebote wollen wir alle Interessierten erreichen. Wichtig auch hier ist die Ausbildung der Übungsleitenden, die wir durch unsere Zertifizierungen auf hohem Niveau gewährleisten können.
• Gleichstellung der Geschlechter: Auch da ist Berlin ein Vorreiter, was Diversität und Akzeptanz angeht. Als BTFB sind wir einer der wenigen Verbände, der mehr weibliche als männliche Mitglieder hat, auch mehr als andere Verbände. Aber das bedeutet leider noch nicht, dass bei allen die Gleichstellung angekommen ist. Und daran müssen wir arbeiten.
„Mädchenliegestütz“. Ich wette, jedem ist sofort klar, welche Art von Liegestütz damit gemeint ist. Richtig, die Variante auf den Knien. Dieser Begriff assoziiert, dass Mädchen/Frauen das schwächere Geschlecht sind. Einfach nicht mehr diesen Begriff verwenden, stattdessen als Option die Variante „Liegestütze auf den Knien“ anbieten und allen ist geholfen.
• Nachhaltig produzieren und konsumieren: Es gibt so viele Alternativen und Varianten, online Plattformen (Bsp. „Sport handelt fair“), die Hilfe anbieten. Diese Möglichkeiten müssen wir den Vereinen aufzeigen und selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Nehmen wir das Beispiel der Vorbereitung eines Buffets: Was für Produkte werden verarbeitet? Woher stammen sie? Wie werden sie angerichtet? Gibt es für alle Ernährungstypen Optionen? Worauf wird das Essen verteilt? Werden Reste am Ende weggeschmissen? Alles Fragen, die künftig mehr in Vordergrund gestellt werden müssen.
Was empfehlt ihr als AG den Vereinen, sich dem Thema Nachhaltigkeit zu nähern?
Erstmal klasse, dass ihr euch damit auseinandersetzen wollt! Fangt klein an. Gründet eine AG mit Interessierten und dann geht nach und nach die Prozesse in eurem Verein durch. Schreibt auf, was ihr schon macht, und überlegt, was für euch wichtig ist, und wo ihr etwas verändern wollt. Sodass ihr Schritt für Schritt vorwärts geht und sehen könnt, was ihr schon erreicht habt. Der Umschwung passiert nicht von heute auf morgen. Orientiert euch an den Zielen der Vereinten Nationen oder an unseren vier genannten Schwerpunkten. Stellt euch ein Oberziel (z.B. 150 neue Mitglieder in drei Jahren), dann kleine Unterziele (zwei neue Maßnahmen zur Mitgliedergewinnung/bindung im Turnfestjahr 2025) und dann erstellt Messgrößen (25 neue Mitglieder 2025), mit denen ihr festhalten könnt, ob ihr diese Ziele erreicht habt. Dann könnt ihr am Ende des Jahres prüfen, ob das Ziel erreicht und eure Maßnahmen erfolgreich waren und warum – oder eben auch, warum nicht.
Ist eine speziell Beauftragte/ ein Beauftragter im Verein sinnvoll?
Ich finde es sehr sinnvoll, wenn es einen Beauftragten geben würde, genauso wie beim Kinderschutz (der auch zur sozialen Nachhaltigkeit gehört). Jemand, der sich schulen lässt und dann als Ansprechpartner und Experte gilt. Wir als BTFB sollten den Vereinen dazu Rückendeckung, Netzwerkarbeit und Bildungsoptionen anbieten.
Es ist immer am effektivsten, wenn jemand für ein Thema den besagten Hut aufhat. Dann wissen die Mitglieder, an wen sie sich wenden können. Die Person selbst hat eine klar definierte Aufgabe und der BTFB hat eine Ansprech-Person für alle entsprechenden Themen.
Gibt es bei uns im Verband schon entsprechende Informations-Angebote für Vereine?
Auf der Internetseite gibt es bereits einige Informationen, aber noch keine konkreten Angebote. Da kann man sich sehr gut bei dem LSB informieren und bei „Sport handelt fair“. Ansonsten ist die Teilnahme beim „Runden Tisch der Nachhaltigkeit“ sehr zu empfehlen. Oder bitte einfach mit direkten Fragen an die AG wenden.
Manche empfinden Nachhaltigkeit im Verein es als neue zusätzliche Aufgabe – und dabei agieren sie mit ihren Angeboten im Prinzip schon nachhaltig… Wie siehst du das?
Wir müssen das Rad natürlich nicht neu erfinden, nur vielleicht neu denken. Zur sozialen Nachhaltigkeit gehören zum Beispiel unsere zwei Ziele „Gleichstellung der Geschlechter; Bildung für alle Ermöglichen“. Im Hinblick auf diese Ziele kann man zunächst mal alle Prozesse und Trainings, Wettbewerbe, Veranstaltungen beleuchten und hinterfragen. Vielleicht auch eine Umfrage im Verein starten und nach den Meinungen, Einschätzungen und Wünschen fragen. Weiterhin gemeinsam ein Leitbild erstellen, was der Verein unter Nachhaltigkeit versteht und welchen Prinzipien man folgen möchte. Es ist erstaunlich, was alles dabei herauskommt, wenn man sich aktiv mit diesen Themen auseinandersetzt und darüber redet.
Folgt man diesem Gedanken, müsste dann dem organisierten Sport nicht auch ein größerer gesellschaftlicher Stellenwert zugemessen werden – ergo mehr Wertschätzung und finanzielle Unterstützung, wenn man soziale Nachhaltigkeit in der Gesellschaft ernst meint?
Ja. Absolut. Der Sport leistet so unglaublich viel und muss viel mehr gefördert, mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Es ist einer der Orte, an denen man lernt, mit Konflikten, Erfolg und Misserfolg umzugehen, mit dem eigenen und dem der anderen. Menschen werden geformt und tragen so viel aus dem Sport in die Gesellschaft.
Worin bestehen aus deiner Sicht die größten Hürden, um sich als Verein/Organisation noch mehr für die Nachhaltigkeit zu engagieren resp. aktiv zu werden?
Ich denke es braucht die Eine Person, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen möchte, es in den Verein bringt und dann auch noch Anklang findet. Daher müssen wir im Verband mit gutem Beispiel vorangehen, den Vereinen die Hand reichen und somit zeigen, dass wir dahinterstehen und als Unterstützung da sind.
Nachhaltigkeit ist kein Hexenwerk! Jeder kleine Schritt ist ein Schritt in die richtige Richtung! Fangt einfach an.
*Sustainable Development Goals, kurz SDGs
Das Interview führte Sonja Schmeißer
Weitere Quellenangaben / Informationen zum Artikel:
Foto: privat