Vorständin Joy Salewski zum Vereins-Angebot Selbstverteidigung für Frauen

Foto: Verena Brüning
Marina „Joy“ Salewski (70), Vorständin des Vereins Selbstverteidigung für Frauen e.V. (SVF) und qualifizierte Trainerin für die Kampfsportart Taekwondo, Trägerin des Titels Großmeisterin / 4. Dan
Joy Salewski äußert sich in BewegtBerlin, Ausgabe 1-2025, zum Freizeitsport und zum Vereins-Angebot.
Wir bieten wöchentliche Kurse für Mädchen und Frauen: Anfängerinnen- und Fortgeschrittenen-Trainings sowohl für Mädchen als auch für Frauen in der Kampfkunst Taekwondo mit dem Schwerpunkt Selbstverteidigung. Seit dem Jahr 2000 ist die Disziplin Taekwondo WTF olympisch.
Der Verein, abgekürzt SVF, wurde im Jahr 1976 in Berlin von Frauen für Frauen gegründet, als Reaktion auf die alltägliche Gewalt von Männern gegen Frauen – auf der Straße, in der Schule, am Arbeitsplatz und zu Hause. Die Idee: Raus aus der Opferrolle, aktiv werden und mentale sowie körperliche Stärke aufbauen. Im Idealfall kann sich Eine bei einem körperlichen Angriff wehren und zurückschlagen.
In den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts war es noch nicht selbstverständlich, dass Frauen Kampfsporttechniken erlernen, dies war lange eine Männerdomäne. Unser Verein war hier Vorreiterin, neben vielen anderen Initiativen der zweiten Welle der Frauenbewegung.
Neben der körperlichen Fitness, die auch zu einem neuen Selbstbewusstsein führen kann, ging und geht es im SVF neben dem Erlernen von Selbstverteidigungstechniken auch immer darum, das Selbstvertrauen zu stärken und Bewusstsein und Kontrolle über die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln.
Der SVF, der nach der Gründung mehrere hundert Mitglieder hatte und viele Kampfsportdisziplinen wie Karate, Aikido, Jiujutsu u.a. unter einem Dach vereinte, hat sich im Laufe der Jahrzehnte stark reduziert. Seit den 2000-er Jahren gibt es noch die Disziplin Taekwondo. Der Verein hat aktuell zirka 40 Teilnehmende im Alter von 8 bis 70 Jahren.
Grob vereinfacht gibt es zwei Gruppen von Teilnehmenden: Ein Teil trainiert mit viel Ehrgeiz und hohem sportlichen Einsatz. Die Teilnehmenden möchten in der Disziplin Taekwondo weiterkommen. Ziel ist der Schwarzgurt. Regelmäßig stattfindende Gürtelprüfungen und Meisterschaften werden mitgemacht. Ein anderer Teil trainiert mit weniger Leistungsanspruch und hat vor allem Spaß und Freude am Training. Gürtelprüfung oder Meisterschaft stehen nicht im Vordergrund.
Die Inhalte haben sich in den vergangenen 50 Jahren im Verein nicht geändert. Taekwondo ist eine über Jahrzehnte etablierte koreanische Kampfkunst, deren Regeln kaum geändert werden. Jedoch gab es Mini-Regeländerung im Formationenlauf und im Kampf, seitdem Taekwondo olympisch ist (Jahr 2000, Olympia in Sydney).
Die Motive unserer Teilnehmerinnen, die zu uns kommen, sind unterschiedlich:
– Sportlicher Ehrgeiz und Spaß am Taekwondo. Ziel ist mindestens der Schwarzgurt im Taekwondo.
– Belästigungs-, Mobbing- oder Gewalterfahrungen verbaler oder körperlicher Art. Ziel ist das Erlernen von Selbstverteidigungstechniken, um sich sicherer zu fühlen und idealerweise effektiv wehren zu können, bei einem Angriff auf die körperliche Integrität.
– Prävention. Viele sind durch Erfahrungen im Alltag und durch die mediale Berichterstattung für das Thema Gewalt gegen Mädchen und Frauen sensibilisiert, ohne jedoch selbst Opfer gewesen zu sein. Sie möchten vorbeugen und eine Sportart ausüben, die sie selbstbewusst macht und auf eventuelle Gewalterfahrungen vorbereitet.
Vor allem bei den Anmeldungen für den Mädchenkurs beobachten wir ein Bewusstsein der Eltern für potenzielle Gewalterfahrungen. Die Eltern möchten, dass ihre Kinder sich selbst schützen und wehren können, in der Schule und im öffentlichen Raum. Das Feedback auf unsere Angebote ist durchweg positiv. Es sind viele individuelle Geschichten, die in der Summe darauf schließen lassen, dass das Training Frauen stärkt und ihnen mehr Selbstbewusstsein vermittelt.
Wir haben auch öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen:
– Für ihr Engagement gehörte die Trainerin Joy zu den Finalistinnen des Vera-Cizak–Preises 2024.
– Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg hat den SVF im Jahr 2022 als bestes Mädchenprojekt ausgezeichnet. Es gab den ersten Preis für „Mädchen- und Frauenförderung im Sport in Tempelhof-Schöneberg 2022“.
– Der Sender Deutschlandfunk Kultur hat 3 Features über den Verein SVF veröffentlicht.
– Die Zeitschrift „Barbara“ hat im April 2022 über den Verein berichtet.
Insgesamt merken wir an der Nachfrage, dass der Bedarf nach Selbstverteidigung für Mädchen und Frauen hoch ist. Schulen, Weiterbildungsinstitutionen oder Mädchenprojekte fragen regelmäßig nach Workshops. Die Nachfrage können wir als vorwiegend ehrenamtlich arbeitender Verein nicht stemmen. Wir haben ein Trainerinnenproblem. Frauen, die viele Jahre dabei sind, hohe Gürtel haben und von ihrer Ausbildung her auch Training geben könnten, haben dafür keine Kapazitäten frei. Ihr Studium oder Arbeitsalltag lässt es nicht zu, „nebenbei“ für wenig Geld Training zu geben. Als gemeinnütziger Verein mit einkommensabhängigen Mitgliedsbeiträgen können wir leider kein gutes Gehalt zahlen.
Zunächst möchten wir uns für die wichtige Arbeit des BTFB im Breitensport bedanken. Wir schätzen das Engagement für die vielen Sportinteressierten in Berlin.
Eine Anregung: Es gibt immer mal wieder Fördertöpfe für Mädchenprojekte. Das Thema Gewaltprävention steht überall auf der Agenda. Hier wäre eine unbürokratische Fördermittelvergabe wünschenswert, die vielleicht nicht nur streng an einem Projekt ausgelegt ist. Wer hat schon Zeit, unbezahlt Projektanträge auszufüllen, deren Vorgaben teils unrealistisch sind und mit zwei bis drei Kostenvoranschlägen auszustatten sind?
Unser Verein könnte eine kleine laufende finanzielle Unterstützung zum Beispiel gut gebrauchen. Pädagogische Konzepte könnten damit ausgebaut werden.
Weitere Quellenangaben / Informationen zum Artikel:
Foto: Verena Brüning