Im Interview: Jens Milbradt

Das erste Jahr im Turnen ist nie umsonst

 

Zur Person

Jens Milbradt, Berlin, war Nationalmannschafts-Turner erst in Halle und später beim SC Berlin, Stützpunkttrainer am OSP, Junioren-Trainer, Stützpunktleiter BSP Berlin. Seit 2013 ist er
DTB-Bundesnachwuchstrainer Turnen männlich.

Das Interview erschien in der BewegtBerlin-Ausgabe 2-2024 (Thema: Nachwuchssport)


Was ist das Motivierende am Trainerberuf und warum ist es für dich gerade der Nachwuchsbereich?

Ich komme aus einer Trainerfamilie, mein Vater war Anfang der 90er Jahre DTB-Bundestrainer der Männer, ich habe selbst geturnt, da lag die Berufswahl nahe, obwohl ich nach meinem Sportstudium an der HU auch mit dem Sportjournalismus geliebäugelt hatte. Aber ich habe schon während meines Studiums Trainingsgruppen betreut und als ich dann nach verschiedenen Stationen als Trainer – damals als Leiter des BSP hier in Berlin – gefragt worden bin, ob ich Bundestrainer für den Nachwuchs werden will, hab‘ nicht lange gezögert. Mir liegt der Nachwuchsbereich und da bin ich nun seit 2013 mit großer Leidenschaft dabei.

Es gibt sehr viele Facetten im Berufsbild, die ich sehr interessant finde. Erstens ist das der Wettbewerb – für mich war das schon als Kind ein faszinierender Gesichtspunkt und das hat mich bis heute nicht losgelassen. In dieser Welt des Wettbewerbs leben wir als Leistungssportler, ob das auf internationaler, nationaler oder regionaler Ebene ist.

Dann vor allem die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen! Die Faszination, zusammen mit den Kindern eine hoffentlich erfolgreiche Laufbahn zu entwickeln. Dabei geht es nicht nur um die Bewertung der im Wettkampf gezeigten Leistung; es geht um Persönlichkeitsentwicklung, die Entwicklung konditioneller Fähigkeiten oder auch mal neue Elemente zu kreieren.

Aber auch die Arbeit mit Trainerkollegen, der Austausch miteinander, das Überlegen, wie kommen wir zu den Zielen, die wir uns gesetzt haben. Daneben gibt es täglich so viele kleine Dinge, an denen man sich erfreuen kann. Aber natürlich gibt es auch das Gegenteil, Stagnation und Rückschläge. Dann muss man sich fragen, was man ändern kann – und das alles macht diese Trainertätigkeit unglaublich facettenreich und interessant.

Natürlich sehe ich als Bundestrainer diese Arbeit jetzt etwas globaler. Wir diskutieren unheimlich viel mit den Turnern und Trainern, das macht ungefähr ein Drittel meiner Tätigkeit aus. Aber ich bin etwa jeden zweiten Tag noch in der Halle aktiv. Der Job bringt auch viel Bürokratie mit sich, die aber gut gemacht werden muss, damit das Fundament gegeben ist, um in Ruhe arbeiten zu können. Der deutsche Leistungssport ist sehr komplex …

Was braucht es am Beispiel deines Zuständigkeitsbereichs für ein Trainingsumfeld, das sicher, motivierend und leistungsfördernd für den Nachwuchs ist – und auch noch Spaß machen soll?

Natürlich versuchen wir im Leistungssport die Umfeldbedingungen immer weiterzuentwickeln und zu verbessern – bessere Hallenausstattung, kurze Wege, Entwicklung effizienter Schulsysteme für den Spitzensport, medizinisch und physiotherapeutische Betreuung, Internatsmöglichkeiten mit pädagogischer Betreuung für Kinder, die weiter weg wohnen, und vieles mehr.

Die eigentliche Keimzelle für eine freudvolle Leistungsentwicklung von Kindern und Jugendlichen ist aber die Zusammenarbeit zwischen Turner und Trainer. Hier kommt einer professionellen Aus- und Weiterbildung unserer Trainer nicht nur im fachlichen Bereich, sondern auch im pädagogischen und psychologischen Bereich eine entscheidende Bedeutung zu.

Die Kenntnisse und Inhalte dann den Turnern mit Begeisterung, Engagement und Enthusiasmus zu vermitteln, ist dabei wesentlich.

Welchen aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen sind für den Nachwuchs-Leistungssport zu bewältigen?

Wir bewegen uns gesellschaftlich auf zwei Wegen. Die eine Seite der Gesellschaft akzeptiert und lebt den Leistungsbegriff. Wir sind nach wie vor eine Leistungsgesellschaft und Deutschland ist bei allen Problemen eine der führenden Wirtschaftsnationen weltweit.

Andererseits gibt es viele Menschen, die den Leistungsbegriff so bisschen in den Hintergrund rücken und der Meinung sind, wir kommen auch ohne den Leistungsgedanken international gut zurecht – ob in der Wirtschaft oder auch im Sport. Dieser Meinung bin ich nicht!

Diese Entwicklung macht für uns vor allem die Sichtung talentierter Kinder nicht ganz einfach. Die Zahl der Kinder, die an Sichtungsveranstaltungen teilnehmen, ist rückläufig, da Teile der Elternschaft diese Situation für ihre Kinder nicht sehen.

In diesem Kontext gab und gibt es viele Diskussionen um die Bundesjugendspiele und die Abschaffung von Wettkampf-Formaten in einigen Sportarten – wie siehst du das?

Die neuen Regelungen bei den Bundesjugendspielen, die möglichst späte Benotung in der Schule, sich dem Vergleich nicht zu stellen im frühen Alter … Ich habe immer den Eindruck, wenn ich mit Kindern arbeite im ganz jungen Alter: Sie wollen genau das Gegenteil! Sie wollen sich messen, sie wollen sich auseinandersetzen mit anderen Kindern, sie wollen sehen, wo stehe ich. Auch wenn’s manchmal wehtut, auch wenn man mal hinten steht, sucht man den Vergleich. Und vielleicht ist dieser Vergleich eine Motivation hat für das nächste Mal… Dass man sich anders bewegt, in der Schule, beim Lernen, im Training und sich das nächste Mal vielleicht verbessert, und dann eine Motivation hat für das übernächste Mal entsteht.

Ich denke, wir laufen da schon Gefahr, dass wir diesen Vergleich den Kindern vorenthalten, denn Kinder wollen den Vergleich. Sicherlich nicht 10 von 10; vielleicht sind es nur 8 von 10 – aber für diese 8 ist es wichtig, dass ihnen diese Vergleiche geboten werden.

Es ist definitiv wichtig, die zwei, die nicht wollen – oder es aufgrund körperlicher Voraussetzungen nicht können – mitzunehmen und darüber nachzudenken, wie man das tut. Dafür gibt es aber auch jetzt schon im Sportunterricht Mittel, wie das Bemühen, der Fleiß, die Anstrengung und die Mitarbeit in einer Form gewürdigt werden, die sich auch in der Note niederschlägt und damit niemanden zurücklässt – das wäre das Schlimmste.

Es ist immer und gerade im Sport eine Enttäuschung, wenn man nicht erreicht, was man sich vorgenommen hat und weiter hinten landet. Da braucht man die Eltern, die einen abholen, trösten und aufbauen – und nicht jene, die den Kindern alles so leicht wie möglich machen wollen. Eltern sollen Begleiter des Kindes sein und nicht versuchen, den Kindern alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen.

Du hast in unserem Podcast gesagt: Das erste Jahr im Turnen ist nie umsonst. Wie meinst du das?

Das ist ein Aspekt unserer Turn-Verbände, den man in der Öffentlichkeit noch mehr betonen sollte. Wir fangen mit dem Kinderturnen sehr früh an und bauen die Kinder dann im Turntraining auf, auch für andere Sportarten. Es geht darum, Basisfertigkeiten zu erwerben. Das ist ein Fakt, mit dem wir noch viel mehr werben können. Selbst wenn man wie in meinem Bereich später kein Turner wird – man hat sich so viele Basisfertigkeiten für den Schwimmer, für den Judoka oder den Gewichtheber geholt, die wertvoll sind. Jede Sportart hat die Basis auch in turnerischen Bewegungen; ist ein Riesenfundus! Deshalb: Das erste Jahr im Turnen ist nie umsonst!

Wie motivierend sind Highlights wie Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele für den sportlichen Nachwuchs?

Sie wirken einerseits schon als Events durch ihre Faszination und die von den Aktiven dort erbrachten Leistungen. Das motiviert und inspiriert. Wir werden es im Sommer bei den Olympischen Spielen wieder erleben. Keine Frage, für alle, die Leistungssport ernsthaft betreiben, sind EM, WM und vor allem Olympische Spiele das große Ziel. Was haben denn euere Nachwuchstalente hier im Magazin dazu gesagt?

Genau das. – Also wünschst du dir auch Olympische Spiele in Berlin?

Ja, und ich glaube, dass Berlin alternativlos ist; ich glaube nicht, dass eine andere deutsche Stadt die Chance hat, international durchzudringen mit der Bewerbung. Aber vor einer Sache würde ich warnen: Der Leistungssport hat es grade nicht leicht in Deutschland und wenn man die Bewerbung damit begründen würde, dass der Leistungssport nach vorn kommen soll, ist das für mich überhaupt nicht schlüssig. Sondern es zählen andere Gründe – der logistische und nachnutzbare logistische Ausbau, die Nachhaltigkeit, die Ressourcen, grüne Spiele, Begeisterung eigentlich der Gesamtbevölkerung – und ja, natürlich auch der Motivationsschub für den sportlichen Nachwuchs.

Der Leistungssport sollte sich eher überlegen, wie er sich effizienter aufstellen und die gar nicht so schlechten finanziellen Mittel nutzen und damit wieder an Leistungsstärke gewinnen kann.

Wie sieht es aus Sicht des Bundestrainers am BSP Berlin mit dem Nachwuchs aus?

Ich sehe es gar nicht so kritisch, wie es vielleicht manchem derzeit erscheinen mag. Bei der WM war kein Berliner Turner dabei – aber Milan Hosseini war bei der EM 2023 Dritter am Boden. Die Bilanz im Nachwuchsbereich ist leicht rückläufig, aber die Ergebnisse bei der EYOF im letzten Jahr waren gut … Es gibt immer Wellen in der Entwicklung. Wichtig ist, dranzubleiben: Wie schafft man es, dass die Welle nach unten ziemlich flach verläuft und wie schafft man es, dass es dann wieder nach oben geht. Die Bedingungen in Berlin sind sehr, sehr gut – mit dem Umfeld, dem OSP, der Sportschule in Hohenschönhausen, dem BTFB und der personellen Ausstattung am BSP. Insofern bin ich optimistisch, dass die Welle nicht allzu weit nach unten ausschlägt und es in den nächsten Jahren tendenziell wieder nach oben geht.

Was empfiehlst du Nachwuchs- Athletinnen und -Athleten der Altersgruppe zwischen 11 und 18? Das ist die Altersgruppe der Nachwuchstalente, die wir hier im Heft vorstellen.

Der Ausbildungsprozess in unserer Sportart ist sehr lang – meistens beginnen die jungen Turner im Alter mit 5 oder 6 regelmäßig zu trainieren und kommen erst im 19. Lebensjahr in den Bereich der Senioren. Da geht nicht alles kontinuierlich voran, gibt es Rückschläge und viele kleinere und größere Probleme. Mein Appell an die jungen Sportler wäre, nicht aufzugeben, sich mit vertrauensvollen Personen zu umgeben, die ihnen helfen und sie unterstützen und immer auch optimistisch zu bleiben und den Blick auf die eigenen Stärken zu richten.

Gehst du eigentlich noch selbst mal an die Geräte …?

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich schon viele Jahre nicht mehr am Barren oder Reck aktiv war. Wenn es mir die Zeit erlaubt sportlich aktiv zu sein, versuche ich einige Kilometer zu laufen, in den Kraftraum zu gehen und mit gymnastischen Übungen meine Beweglichkeit zu erhalten.



Externe Links zum Artikel:
» Podcast mit Jens Milbradt

Weitere Quellenangaben / Informationen zum Artikel:
Interview: Sonja Schmeißer, Foto: minkusimages