Günter Hein – ein Urgestein des BTB
Günter Hein war von 1966 bis 1987 Landesvorsitzender des BTB. Waltraud Krause sprach im Jahr 2000 mit ihm über seine langjährige Tätigkeit im Berliner Turnerbund.
Günter Hein
Von Renate Henningsen-Penski und Waltraud Krause

Günter Hein im Gespräch mit Willi Pliquet (links).
Der Berliner Turnerbund – das ist auch Günter Hein. Wenngleich er 1987 bereits den Vorsitz abgegeben hat, so war er doch von allem Anfang an beim Aufbau des BTB dabei. Und wenn er als seine Vorbilder Mathilde Abt, Willi Pliquet und Heinz Andrae nennt, so hat er bereits mit ihnen gemeinsam in den frühen Jahren für den BTB gearbeitet und Turngeschichte geschrieben: als Beisitzer, als Jugendwart und dann 21 Jahre lang als Vorsitzender. Erst durch Günter erlangte der kleinste Landesverband im Deutschen Turner-Bund den ihm zukommenden Rang als Verband der ehemaligen deutschen Hauptstadt, dann in der geteilten Stadt.
Turnen hat Günter immer auch als Bildungsauftrag für den ganzen Menschen, als Kulturpolitik im weitesten Sinne verstanden. Es ist für ihn nie nur die Summe von Geräten, Wettkämpfen und Spielen gewesen.
Er hat sehr früh gespürt, daß man, will man etwas bewirken, viele Fäden in seiner Hand halten muß. Entsprechend hat er sich in viele Ehrenämter des Deutschen Turner-Bundes, des Landes- und Deutschen Sportbundes, deren entsprechenden Jugendorganisationen und der Deutschen Olympischen Gesellschaft eingebracht.
Er hat dann alles Wissen und alle Verbindungen genutzt, um für den Berliner Turnerbund das Beste zu erreichen. Dem BTB und damit Berlin hat er damit zu glanzvollen Großveranstaltungen verholfen, die in dieser Größenordnung und solcher Perfektion einmalig waren, und das alles mit dem ehrenamtlichen Werkzeug eines Vereins Deutsches Turnfest 1968 oder eines Organisationskomitees für die Gymnaestrada 1975 und dann das Deutsche Turnfest Berlin 1987. Unter seiner straffen Führung aus der Stärke seines Ehrenamtes heraus gelang es ihm, dreimal einen großen Mitarbeiterkreis zu höchsten Leistungen anzuspornen und damit Veranstaltungen auf die Beine zu stellen, von denen noch Jahre später in größter Anerkennung gesprochen wird.

Günter Hein während der Ansprache bei der Gymnaestrada 1975 im Berliner Olympiastadion.
Sein Ruf in der Berliner Verwaltung war exzellent, zwingend und nachhaltig. Scharen von Bezirksbürgermeistern, Senatoren und hochrangigen Senatsmitarbeitern wußten genau, wenn Günter Hein anklopfte, kündigte sich etwas Größeres an, das für die Stadt wichtig war.
Dem Pädagogen Günter Hein ist es jederzeit gelungen, junge Menschen für die turnerische Sache zu begeistern, indem er bei ihnen durch vielerlei Hintergrundinformationen den Grundstein für eigenverantwortliches Denken und Handeln legte. Er pflegte dann zu sagen: Dann mach mal! So sind viele aus seiner Turnschule auch ein Leben lang dem Turnen, ihrem Verein und dem Verband treu geblieben.
Günters eigene hohe Ansprüche an den Sport und die Verbindung von Sport und Kultur zur Gesellschaftsbildung haben Maßstäbe gesetzt, die auf allen Ebenen der Gesellschaft Anerkennung fanden. Wenn es ihm auch nicht gelungen war, zum Turnfest 1987 die beiden Teile Berlins zusammenzuführen, so hat er doch mit großer Anteilnahme und Freude die nach 1989 möglich gewordene Vereinigung begleitet.
Günter Hein wurde von Waltraud Krause, der Vertreterin der Großvereine im BTB, als Zeitzeuge befragt.
Günter, wie sah es in unserer Stadt aus, als sich der Turnerbund gründete?
Die meisten Hallen waren zerstört. Die wenigen, die noch einigermaßen erhalten waren, hatten keine Geräte. Mit einem Kokosläufer und den installierten Kletterstangen fingen wir bei den Füchsen an.
Wie auch heute, war damals die große Frage, wer soll und kann andere anleiten. Die Hoffnung, daß die ehemaligen Vorturner gleich wieder mit ihrer Arbeit beginnen könnten, zerschlug sich, denn die Rückkehr der Wenigen aus der Kriegsgefangenschaft erfolgte nur langsam. Da mußten wir Jüngeren ran. Oft hatte einer mehr als 80 Kinder in der Halle zu beschäftigen.
So war eine Vorturnerausbildung dringend erforderlich. Ein geeigneter Ort wurde uns von den Alliierten einschließlich Verpflegung in der Schule am Rupenhorn zur Verfügung gestellt. Dieses Ausbildungsprogramm wurde von den Vereinen gern angenommen und man traf oft dieselben Leute dort. In Mathilde Abt und Willi Pliquet hatte der BTB glücklicherweise Ausbilder, die es hervorragend verstanden, mit jungen Menschen umzugehen.
Die Geschäftsstelle war im Haus des Sports in der Bismarckallee untergebracht und viele Jahre lang nur mit einer Halbtagskraft besetzt. Viele Arbeiten wurden durch ehrenamtliche Helfer erledigt.
Zu den Anfängen des BTB fallen mir noch die Schwierigkeiten ein, die sich beim 1. Bundesturnfest 1950 in Neukölln ergaben. Nach dem 2. Weltkrieg war man, was Aufmärsche betraf, sehr sensibel. So war der Festzug der Turnerinnen und Turner, der auch noch durch die Karl-Marx-Straße führen sollte, sehr um stritten. Und das traditionelle Mitführen der Vereinsfahnen löste heftige Diskussionen aus. Die Organisatoren setzten sich durch. Das Fest wurde von den Bürgern bejubelt, und die Vereine hatten nach diesem Landesturnfest einen enormen Zulauf.
Wie finanzierte man damals solche Veranstaltungen, und wie sah es mit den Finanzen überhaupt aus?
Überwiegend wurden die anfallenden Kosten aus Toto-Mitteln getragen oder Zuschüsse über den LSB beschafft. Und da der erste Vorsitzende des BTB, Heinz Andrae, auch gleichzeitig Geschäftsführer des LSB war, hatte der BTB sehr gute Karten.
Ich kann mich an Vorstandssitzungen erinnern, bei denen allein mit guten Argumenten der Durchführung einer Veranstaltung zugestimmt wurde, nach dem der Vorsitzende den Kassenwart gefragt hatte: Erno, haben wir das Geld dafür?“ Und wenn Erno nickte, war das die Zusage. Ansonsten trug sich der Haushalt aus den Verbandsbeiträgen.
Welche Sportarten waren vor 50 Jahren im Berliner Turnerbund vertreten?
Grundsätzlich wurde im Sinne des allgemeinen Turnens sinnvolle Freizeitbeschäftigung angeboten, die zur gesunden Lebensführung beitragen sollte. Dem BTB ging es immer um die Vielfalt und hauptsächlich um die pädagogisch sportliche Betreuung der Kinder.
Es wurde an Geräten geturnt und Gymnastik betrieben. Zu den Turnspielen gehörten Faust- und Prellball, außerdem gab es Rhönradturnen und fechten, das Trampolinturnen kam später hinzu.
Die Turner waren aus ihrer Turngeschichte heraus auch immer Mehrkämpfer. Die Mehrkämpfe fielen daher in das Aufgabengebiet des Turnerbundes, weil die entsprechenden Fachverbände (Leichtathletik-, Schwimmverband und Fechterbund) an der Pflege solche Wettkämpfe kein Interesse hatten.
Die Kustturner/innen waren in den Vereinen angesiedelt. Die Besten trafen sich zur Lehrarbeit und zum gemeinsamen Training – später dann im Turnzentrum am Vorarlberger Damm. Es gab für die Vereine nur dieses eine Leistungszentrum.
In der Jugendarbeit warst Du lange Zeit stark engagiert. Was waren die wichtigsten Aufgaben?
Der Gedanke, sportlich vielseitig zu sein, hatte für die Jugendarbeit Priorität. Die Betreuung der Kinder in dieser Richtung war somit ein wichtiger Aufgabenteil. Eine wesentliche Aufgabe sah ich darin, dafür zu sorgen, daß die turnerische Jugendarbeit als gleichwertig gegenüber der Tätigkeit anderer Jugendverbände anerkannt und bewertet wurde. Das war wichtig bei der Verteilung der für die Jugendarbeit über Landes- und Bundesjugendpläne zur Verfügung stehenden Mittel. Alle anderen Jugendorganisationen waren geneigt, die turnerische Jugendarbeit als überfachliche Arbeit nicht zu akzeptieren. Das zeigt sich darin, daß die Aufnahme der sportlichen Jugendorganisationen z.B. in den Landesjugendring blockiert wurde. Schließlich setzte sich aber die Qualität unserer sportlichen Jugendarbeit und die daraus resultierende Akzeptanz durch die Kinder und Jugendlichen selbst immer mehr durch. Dadurch entstand ein sinnvolles Miteinander aller Jugendorganisationen.
In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß als Voraussetzung für die Beteiligung an den Mitteln des Bundesjugendplanes die absolute Eigenständigkeit der Jugendorganisation gegenüber der Erwachsenen-Organisation gefordert wurde. Hinzu kam ja auch das große Interesse der Nachkriegsgeneration, mit Hilfe des Sports die NS-Vergangenheit zu überwinden und unbelastet die Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. So entstand unsere Jugendordnung.
In ihr wurde bestimmt, daß die Jugendlichen sich ihre Führung selbst wählen und ihre Aktivitäten selbst gestalten einschließlich der finanziellen Eigenständigkeit für diese Aufgaben.
Wie kam es dazu, daß Du Vorsitzender des BTB wurdest?

Prof. Dr. Günter Bormann, Präsident des Deutschen Turnverbandes der DDR (links) im Gespräch mit Günter Hein, Vizepräsident des Deutschen Turner-Bundes, 1990.
Da muß ich etwas ausholen. Als sich die politische Situation um die Teilung der Stadt zuspitzte und abzusehen war, daß der Zugang nach Westberlin irgendwann eingeschränkt werden würde, entstand bei mir die feste Absicht, vorher ein Deutsches Turnfest in Berlin durchzuführen, zu dem dann auch die Turner aus dem Ostteil unseres Landes freien Zugang haben sollten. Dennoch wurde festgelegt, daß das nächste Turnfest 1963 nicht in Berlin, sondern in Essen statt finden sollte.
Daraufhin faßte der Deutsche Jugendturntag auf meine Anregung hin einen Beschluß, den DTB aufzufordern, wenigstens das DTF 1968 nach Berlin zu vergeben. Dieser Aufforderung schloß sich der Deutsche Turntag an. Nun stand der BTB vor der Frage, die Organisation auch personell sicherzustellen. Der bisherige Landesvorsitzende Kurt Böttcher, fühlte sich dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen. So kam die Frage an mich, ob ich bereit wäre, die Führung des Landesverbandes und damit auch die Organisation des Turnfestes zu übernehmen. Das sagte ich zu.
Was waren die Highlights während Deiner ehrenamtlichen Tätigkeit im BTB?

Renate Henningsen-Penski und Günter Hein probieren das Menü für das Deutsche Turnfest 1987.
Das waren natürlich die beiden Deutschen Turnfeste 1968 und 1987 sowie die Gymnaestrada 1975. Im einzelnen sind mir aber noch zwei Erinnerungen ganz wichtig: Als der Chor der Berliner Turnerjugend zur Eröffnung des DTF Essen 1963 vierstimmig sang: Verleih uns Frieden gnädiglich, war das ein bewegender Augenblick meiner BTB-Zeit. Ein weiterer Augenblick der Freude war, als durch die von mir 1982 ins Leben gerufene Spendenaktion für den am Trampolin verunglückten Turner Bernd Gallkowski 150.000,- DM zusammen kamen und ihm übergeben werden konnten. Die Solidarität unter den Turnern hat mich sehr beeindruckt.
Vielleicht solltest Du uns noch erzählen, wie Du zur Turnerei gekommen bist.
Eigentlich war ich ein ziemlich guter Tischtennisspieler, aber die Turner haben es geschafft, mich abzuwerben. Wie das so ist, man wird zur Mitarbeit herangezogen, und da ich parallel dazu meine berufliche Ausbildung als Lehrer begonnen hatte, wurde vorausgesetzt, daß ich die pädagogischen Fähigkeiten gleich mitbringe.
Mein Schlüsselerlebnis hatte ich aber in der Turnkneipe. Es blieb mir beim ersten Stiefeltrinken die Blamage erspart, mich mit Bier zu überschütten, weil ein älterer Turner ohne ein Wort zu verlieren den Stiefel so drehte, daß die Spitze in der richtigen Lage war. Ich würde sagen, daß mich die so praktizierte Turnbrüderlichkeit erst zum Turner gemacht hat.
Sage uns bitte noch, wie Du als Vorturner einen Übungsabend in der Halle gestaltet hast.
Angefangen wurde mit Kürübungen, d.h. jeder konnte sich seine Übung aussuchen. Um überschüssige Kräfte abzubauen, wurden kleine Spiele bis hin zu Raufereien eingebaut. Dann folgte eine gemeinsame Gymnastik, die musikalisch [mit Klavier) begleitet wurde. Nach Aufteilung in Riegen wurde geturnt, wobei ca. alle 10 Minuten das Gerät gewechselt wurde. Den Abschluß bildeten Ballspiele, Staffeln, Hindernisläufe usw., meist wurde auch ein Lied gesungen.
Lieber Günter, danke für dieses Interview.
Externe Links zum Artikel:
» der vollständige Artikel aus der Festschrift "50 Jahre Berliner Turnerbund"
Weitere Quellenangaben / Informationen zum Artikel:
Quelle: Festschrift "50 Jahre Berliner Turnerbund"