Der BTB stellt sich den Herausforderungen eines neuen Jahrtausends
Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Berliner Turnerbundes interviewte Pressewartin Sonja Schmeißer BTB-Präsident Peter Hanisch für die Festschrift „50 Jahre Berliner Turnerbund“.
Peter Hanisch, der BTB hat das Glück, daß das BTBJubiläum in ein Jahr fällt, in dem man in aller Welt Bilanz zieht, weil ein neues Jahrhundert bzw. ein neues Jahrtausend beginnt. Bilanzieren Sie doch bitte den 50. Geburtstag einmal mit dem Atem des Jahrhunderts:
Das neue Jahrhundert mit seinen sich ankündigenden vielfaltigen neuen Herausforderungen, und zwar sowohl in allgemeingesellschaftlicher Hinsicht mit den Problemen der hochtechnisierten Arbeitswelt, der Automatisierung, des Schaffens neuer Berufsfelder und des Verlustes vieler traditioneller Arbeitsplätze, als auch in freizeitpolitischer Hinsicht fordert auch uns heraus, nicht abzuwarten, wo neue Trends und Erwartungen der Menschen hingehen, sondern den BTB an die Spitze der konstruktiven Entwicklung neuer attraktiver Freizeitangebote in den Turnvereinen zu stellen.
Unsere Ursprünge, beginnend mit den Ideen von Turnvater Jahn, und die durch die Turnvereine angestoßenen Entwicklungen sind uns Verpflichtung, aktiv bei der Ermittlung der künftigen Nachfragesituation mitzuwirken und noch stärker auf die Freizeit- und Bewegungsbedürfnisse der Menschen einzugehen.
Die zurückliegenden Jahrzehnte waren im organisierten Sport von großem Wachstum und ständiger Angebotsfächerung geprägt; die Zukunft wird sicher nur noch mäßige Steigerungsraten der Mitgliederzahlen, insbesondere unter dem Aspekt des Rückganges der Berliner Bevölkerung, bringen.
Der BTB hat sich deshalb zur Jahrhundertwende verstärkt auf die individuellen Interessen wie Fitneß und Gesundheit eingestellt und seine Aktivitäten besonders im Seniorensport und im qualifizierten Gesundheitssport ausgebaut.
Was bedeuten diese Wandlungen im einzelnen für die Vereine?
Die Herausforderungen sind vielfältig, vor denen die Vereine stehen. Die Globalisierung, die Entwicklung zur Individualität mit der Scheu, Gruppenbindungen einzugehen, die Zunahme der Schichtarbeit, die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten, die Einflüsse der Industrie auf das Freizeitverhalten, all dies sind Faktoren, die unsere Vereinsarbeit gefährden. Gefordert wird von uns also eine hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, um uns am Markt zu behaupten. Der Verein wird aber den Konkurrenzkampf mit anderen Anbietern wie Fitness-Studios, Gesundheitszentren etc. bestehen, wenn er im Dialog mit Partnern, z.B. in Kooperation mit Schulen, neben den klassischen Angeboten eine Fülle neuer Formen und Inhalte bereithält.
Sind junge Menschen heute nicht eher Vereinsflüchter? Was kann man tun, um sie im Verein zu halten?
Der BTB wird auf die Interessen der jungen Menschen – Trend- und Funsportarten zu betreiben – verstärkt eingehen und hat dies bereits bei seinen alljährlichen Fortbildungsveranstaltungen – mit Tausenden von Teilnehmern – für seine Übungsleiterinnen und Übungsleiter praktiziert.
Unser Schwerpunktprogramm Kinderturnen der Jahre 1999 – 2002 ist die Antwort auf die brennende Frage, wie es uns gelingt, mehr Minis für das Turnen zu begeistern. Unser traditionelles Kleinkinderturnen wird inzwischen in anderen Sportarten kopiert. Ziel muß es sein, junge Menschen zu motivieren, im Turnverein Sport zu treiben und sie so zu begeistern, daß sie ihrem Verein treu bleiben, so wie es Eltern und Großeltern getan haben. Der moderne Turnverein ist sowohl Traditions- und Gesinnungsgemeinschaft als auch Dienstleister.
In welcher Richtung wird der BTB solche neuen Angebote entwickeln?
Der Turnverein ist ein sozialer Treffpunkt; der Jugend müssen aber über das reine Sportangebot hinaus spannende Freizeitangebote gemacht werden. Unsere Vereine haben in den letzten Jahren vielfältige· Leistungen zur sozialen Integration der Kinder mit der Bindung an die Gemeinschaft erbracht; Turnvereine bieten Heimat und Sicherheit.
Das moderne Kinderturnen nach dem Motto Turnen ist mehr … hat zentrale Bedeutung für die Zukunft unserer Vereinsgemeinschaft. Um die jungen Menschen zu begeistern und sie beim Sport zu halten, müssen wir die Trendsportarten viel stärker in die jeweilige Sportart integrieren.
Der BTB ist ja einer der größten Senioren-Verbände …
Neben dem Schwerpunkt Kinderturnen gilt unser besonderes Augenmerk der älteren Generation, denn in ca. 10 Jahren wird der Anteil der Sechzigjährigen in unserer Gesellschaft rund 40 % betragen. Viele von ihnen werden mehr Angebote nachfragen, sie werden in viel höherem Prozentsatz Sport treiben als die heutige Generation der Älteren. Unsere Angebote mit dem Qualitätssiegel Pluspunkt Gesundheit werden ausgebaut.
Das heißt auch, der BTB benötigt mehr gut ausgebildete Übungsleiter und ehrenamtliche Funktionäre?
Wir werden die Qualität unserer Übungsleiterausbildung weiter ausbauen, denn Wachstum ist nur möglich mit der notwendigen Infrastruktur, mit qualifiziertem Personal!
Übungsleiter aus- und fortzubilden setzt voraus, daß sich genügend Menschen finden, die bereit sind, ehrenamtlich im Verein tätig zu sein. Ehrenamt muß Spaß machen! Deshalb müssen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zur Stärkung des Ehrenamtes weiterentwickelt und nicht abgebaut oder reduziert werden. Steuerliche Erleichterungen, Anerkennung des Ehrenamtes in Schule und Beruf und staatliche Ehrungen verdienter Mitarbeiter, der stillen Stars, sind einige Beispiele für eine angemessene Würdigung unserer Stützen.
Die Bedingungen für den Sport werden seit Jahren nicht besser, das Damoklesschwert der kostenpflichtigen Nutzung von Sportstätten schwebt immer wieder auch über Berlin. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Auch angesichts der schmalen Haushaltskassen hoffe ich auf die Einsicht der Politiker, daß im neuen Jahrhundert der Verein unverzichtbar für ein gerechtes Miteinander und das Prinzip Sport für alle ist. Die kostenfreie Nutzung der Sportanlagen ist ebenso unverzichtbar wie ein mehrjähriges Sportstättensanierungsprogramm, das der neue Senat dankenswerterweise schon zugesagt hat.
Wie sehen Sie angesichts drohender gravierender Mittelkürzungen für den Sport die weitere Entwicklung des Leistungssports?
Ein besonderes Problem der nächsten Jahre wird die optimale Förderung unserer sportlichen Talente sein. Sowohl hinsichtlich der Talentsuche als auch besonders der Talentförderung wirken sich die Sparmaßnahmen des Bundes und des Landes negativ aus. Wir sind glücklich, daß die sportorientierten Schulen unseren Talenten die Chance bieten, Sport und Schule im Einklang zu gestalten.
Wo sehen Sie die Schwerpunkte der Arbeit des BTB Anfang des neuen Jahrtausends?
Die Schwerpunkte unserer künftigen Arbeit am Anfang eines neuen spannenden Zeitalters sehe ich in der Unterstützung und Beratung unserer Vereine, sich positiv zum Wohle der Mitglieder zu entwickeln; in einer hochqualifizierten Aus- und Fortbildung, um am Markt zu bestehen; im Ausbau des Freizeit- und Gesundheitssports, der den Bedürfnissen der Menschen entspricht; in der Werbung für Turnen und Sport, um mehr Sponsoren – angesichts enger werdender finanzieller Ressourcen der öffentlichen Hände – als Partner zu gewinnen. Der Verein muß konsequent Marketing-Konzepte entwickeln, um Sponsoren Möglichkeiten der Präsentation und der werblichen Darstellung zu bieten.
Das neue Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz mit vielen neuen Mitbürgern bietet uns auch neue Chancen, auf die wir uns einzustellen haben, um Marktführer zu bleiben. Für uns spricht weiterhin die soziale Wärme einer Vereinsgemeinschaft. Vereine bleiben Stützen unserer Gesellschaft. Wir müssen Menschen finden, die bereit sind, sie zu führen und zu entwickeln.
Der Berliner Turnerbund hat einen ausgezeichneten Ruf bezüglich der Ausrichtung von Großveranstaltungen – ist da in den nächsten Jahren wieder etwas in Sicht?
Der Berliner Turnerbund ist ein Gütezeichen für attraktive Großveranstaltungen. Er hat sich in den vergangenen 50 Jahren einen Namen durch seine phantastischen Events gemacht. Deutsche Turnfeste und Welt-Gymnaestraden haben Berlin ebenso zur Turnmetropole gemacht wie die Weltmeisterschaften in der Rhythmischen Sportgymnastik 1997. Wir bewerben uns um die Ausrichtung des Deutschen Turnfestes 2006! Eine Vision?
Was wünschen Sie sich persönlich für die turnerische Zukunft in Berlin?
Persönlich wünsche ich mir viele junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Schwung der Älteren und ihre Lebenserfahrung aufnehmen und Verantwortung übernehmen im Verband und in den Vereinen.
Ich bin sicher, daß unser flotter Start in das Jahr 2000 ein Impulsgeber sein wird für viele schöne Aktivitäten zum Wohle der Berlinerinnen und Berliner, denn Gymnastik und Turnen, Freizeit- und Gesundheitssport in unseren Vereinen bringt Lebensfreude und Fitneß!